HGF125: Wander-Woman am HGF: Christine Thürmer
Die mit den Nibelungen läuft
Die Vortragsreihe mit ehemaligen Schülerinnen und Schülern des Herder-Gymnasiums begann am 15. November mit einem echten Star, der im ganzen deutschsprachigen Raum Menschen unterhält und inspiriert: Christine Thürmer, die „meistgewanderte Frau“ der Welt, erzählte knapp drei Stunden von ihren tausende Kilometer langen Touren quer durch die Welt. Dabei standen aber nicht die üblichen Reiseanekdoten im Mittelpunkt, wie man sie aus den gefürchteten Diaabenden mit Freunden noch kennen mag, Thürmer legte den Fokus vielmehr darauf, ihren Zuhörern zu vermitteln, wieso das Ultralangstreckenwandern glücklich macht und wie sie selbst dazu kam.
1986 schließt Christine Thürmer ihre Schulausbildung am Herder mit einem Einser-Abitur ab – „Nur in Sport hatte ich immer eine Vier“, sagt sie augenzwinkernd und zeigt ein Bild von einem ihrer Abiturkurse vor dem A-Bau. Tatsächlich erkennen sich einige ihrer Freundinnen, die im Publikum sitzen, darauf wieder. In den folgenden Jahren studiert sie in Berlin und macht Karriere. Als ihr 2004 gekündigt wird und wenig später ein Freund stirbt, löst das in Thürmer ein Umdenken aus. „Was hätte Bernd getan, wenn er gewusst hätte, dass er nur noch 10 Jahre zu leben hätte? Sicher nicht noch mehr gearbeitet, um noch mehr Karriere zu machen!“, beantwortet sie die Frage selbst. Sie will Abstand gewinnen, im wahrsten Sinne des Wortes, und plant ihre erste Wanderung: Den Pacific Crest Trail, der von Mexiko über 4200 Kilometer an die kanadische Grenze führt. Die Thruhikerszene – Menschen, die einen Fernweg in einer zusammenhängenden Tour „durchwandern“ – verpasst ihr den Namen „German Tourist“ und sie findet in dieser Gemeinschaft eine neue „Familie“. Aus dem Stand heraus schafft sie es, täglich 33 Kilometer zu laufen. „Obwohl mir mein Arzt Übergewicht bescheinigt hat und trotz meiner X-Beine und Plattfüße! Das Geheimis ist, das Gepäck auf fürnf Kilo zu beschränken und keine dicken Wanderstiefel zu tragen!“
Thürmer ist eine brillante Erzählerin, die nicht nur Tipps parat hält – „Schmutziges Wasser unterwegs kann man zur Not auch mit chlorhaltigem Haushaltsreiniger desinfizieren“, sondern auch anschaulich vermittelt, was es heißt, monatelang mit minimalistischer Ausrüstung unterwegs zu sein. „Klopapier? Ja, das vermisse ich ein wenig, aber Blätter, Schnee oder Steine tun es auch. Sie müssen halt schön glatt sein!“ An vielen Stellen weiß das Publikum gar nicht, ob es nun lachen oder ungläubig staunen soll: „Am Neujahrstag habe ich ein kleines Paradies gefunden, als ich durchnässt in der Wildnis auf ein relativ neues Toilettenhäuschen gestoßen bin. Es war herrlich, dort im Trockenen neben der Kloschüssel am Boden zu schlafen, solange man aus Geruchsgründen den Deckel geschlossen gehalten hat.“
Ein wenig neidisch werden die Zuhörer, als sie berichtet, auf den Trails täglich vier Tafeln Schokolade zu essen – „Die hat einfach das beste Gewicht-Kalorien-Verhältnis, um die vier- bis fünftausend Kalorien wieder aufzufüllen, die ich am Tag verbrenne.“ Dabei liebe sie es auch, Hörbüchern zu lauschen und hier ganz besonders das Nibelungenlied in der mittelhochdeutschen Originalfassung, wie sie abseits der Bühne verrät.
In der Pause nimmt sich Christine Thürmer viel Zeit für Selfies, Widmungen ihrer Bücher und Interviews für die Schülerzeitung. Die SMV verkauft derweil Kuchen und Merch-Artikel zum 125jährigen Jubiläum. Die Stimmung ist ausgesprochen gut, viele Zuschauer kennen Wander-Woman schon aus anderen Veranstaltungen und sind begeistert, sie am Herder so nah und persönlich erleben zu dürfen.
Der zweite Teil der Veranstaltung beantwortet Fragen, die das Publikum zuvor auf Zettel geschrieben hat: Wieviel Geld kostet eine Reise? – Ist Ihre Auslandskrankenversicherung glücklich, Sie als Kundin zu haben? - Wie lange wollen Sie noch wandern?
Thürmer antwortet ausführlich, auch wenn sich viele Zuhörerinnen und Zuhörer schon eins ihrer Bücher gekauft oder den „Folge-Button“ von Thürmers Social-Media-Accounts angeklickt haben, um noch mehr zu erfahren.
Abschließend fasst die berühmte HGF-Schülerin die Frage nach dem Warum ihrer Reisen zusammen: Monatelang auf sich allein gestellt zu sein, erlaube es im Gegensatz zum Arbeits- und Familienalltag, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen, über wichtige Fragen des Lebens zu philosophieren und das Level der Glücksschwelle herabzusetzen -nach unzähligen Kilometern in der Wildnis würden die Leuchtreklame eines Supermarktes und eine Tüte Chips, direkt am Parkplatzboden verspeist, zum Inbegriff der Zufriedenheit.
Unter großem Applaus verabschiedet sich Christine Thürmer vom Publikum, sie will noch mit ihren ehemaligen Mitschülern und Mitschülerinnen ein bisschen Heimatfeeling in Forchheim genießen.
Das Herder-Gymnasium bedankt sich ganz herzlich für diesen kurzweiligen Abend und ist unheimlich stolz, als Schule ein bisschen dazu beigetragen zu haben, dass Christine Thürmer zu einer solch sympathischen, authentischen und inspirierenden Persönlichkeit geworden ist!